Friday, January 19, 2007

Vivir para contarla

"Leben um davon zu erzählen" ist der Titel der Autobiographie des kolumbianischen Autors Gabriel García Márquez. Und so unrecht hat der Bursche nicht. Wie viele Sachen erlebt man, um hinterher davon erzählen zu können? Und wie viele Dinge überlebt man und lebt sie im Akt des Erzählens gleich noch einmal durch, schmückt aus, vergrößert einige Aspekte unter der Lupe und schneidet andere heraus? Wer weiß, vielleicht habe ich auf dem Flug von Montreal nach Berlin ja doch fünf Minuten geschlafen? Und vielleicht habe ich von dem dargereichten Abendessen zumindest den Salat gekostet? Im Berichten sind aus den fünf Minuten Ruhe jedoch 8 absolut schlaflose Stunden, aus dem Salatblatt 460 Minuten Fasten geworden. Aber eins ist nicht übertrieben: Ich habe ungefähr eine halbe Stunde in meinen Wasserbecher gestarrt, alle 2 Minuten daran genippt und mich den Rest der Zeit daran festgehalten. Mit Wasser gefüllte Plastikbecher haben echt meditatives Potential. Vielleicht sollte ich Volvic schreiben: Wenn die das in ihre nächste Werbekampagne einbauen und damit Millionen Kunden werben, werde ich reich!!! Der Rückflug am 16. war übrigens weniger dramatisch, weil ich mich nicht auf die meditative Kraft des Wassers verließ, sondern es mit einem Sedativum verquickte. Ich will nicht behaupten, dass ich danach den Flug genossen habe und mir mittlerweile nichts sehnlicher wünsche, als bald wieder über den Wolken zu schweben. Aber zumindest konnte ich lesen und essen. Das ist doch schon mal etwas. Einen Rückfall muss ich jedoch vermelden. Ist vermutlich dem Nachlassen der Glückspille zuzuschreiben, oder aber den torkelnden Bewegungen des Flugzeugs beim Landen. Da überkam mich das dringende Bedürfnis, meine Reise im Bus fortzusetzen. Was ich dann auch tat, ich verbrachte 12 Stunden auf den verschneiten Straßen von Maine und Québec und schlief mindestens die Hälfte davon (okok, der Leser sei hier auf die oben beschriebene Gefahr von Übertreibungen hingewiesen) wie ein Baby.Vielleicht eher wie ein Fötus, total zusammengeknäult. Der Fötus hätte auf den zwei mir zur Verfügung stehenden Bussitzen unter Garantie mehr Platz gehabt hätte als 1,72m ich.
Und die zwei Bussitze musste ich schon passiv-aggressiv verteidigen. Das funktioniert folgendermaßen: Sobald man im Bus ist, den ersten noch freien Zweisitzer orten, zielgerichtet daraufzumarschieren, Jacke über beide Sitze drapieren, Schuhe abstreifen, Füße auf den Sitz und Augen schließen als schläfe man tief und fest. Hat prima funktioniert. Keiner hat es gewagt, meinen Pseudoschlaf zu stören um sich eventuell neben mich zu setzen.

Zwei Beobachtungen zu Newark/New York: Die Stadt ist fast-offiziell zweisprachig! Unter den englischen Wegweisern am Flughafen findet man grundsätzlich spanische Übersetzungen. Ich meine, ich hatte ja bereits gehört, dass Spanisch mittlerweile die am meisten verbreitete Sprache nach Englisch ist, aber sie so auf gelben Hinweisschildern zu sehen... pretty impressive. Einen spanischen Satz konnte ich dann während meines kurzen USA-Aufenthaltes auch loswerden: Se pide ahí. Heißt soviel wie: Man bestellt da drüben und damit hab ich nur den Satz eines Mannes an einer Fastfoodbude wiederholt, der sich nicht sicher war, ob man direkt an der Kasse oder ein Stück weiter rechts an der Theke bestellt. Ich konnte ihm mit meinen Schnipsel spansich bestätigen, dass man nicht direkt an der Kasse, sondern eben weiter drüben bestellt. Aber hey, ich habe spanisch gesprochen. Mehr als in den letzten drei Jahren in Leipzig (Warnung: Übertreibung).

Jedenfalls bin ich wieder hier, versuche mich an die Uni, die Kälte (-18 Grad am Dienstag) und das neue Semester zu gewöhnen und gelobe, in Zukunft wieder aktiver das vivir para contar Motto zu leben. Mehr zu meinen Kursen und Freizeitaktivitäten (hey, möglicherweise ein Schlittschuhlaufkurs) in Bälde.

Welcome back.