Saturday, October 14, 2006

Christ-mess

Weihnachten gestaltet sich schwieriger, als ich dachte. Ich weiß nicht, ob Sies wussten, aber meine letzte Prüfung ist am 21. Dezember. Und eine Prüfung vorzuverlegen, ist hier eine größeres Unterfangen. Man muss ein Formular ausfüllen, auf dem man angibt, warum man denn unbedingt früher fliegen muss - schließlich wusste man ja von Anfang an, dass die Examenszeit bis zum 22. geht. Als ob dieses Wissen die Tatsache besser erträglich macht, dass ich bis zum 23. hier sitze und darauf warte, nach Hause zu fliegen. Also werd ich am Montag all mein schauspielerisches Talent zusammenkratzen und mit den möglichen Flügen ins Büro des Associate Dean of Arts spazieren und fragen, wies mit nem early exam aussieht. Ich, ich hab doch solches Heimweh und ich kann mir den teuren Flug doch nicht leisten und meine liebe Omi ist schon über 80 und möchte mich doch zu diesem Fest unbedingt um sich haben.
Ich hab das eben meiner Mitbewohnerin erzählt und sie restlos überzeugt.
Mal schauen, wies bei der Bürokratie wirkt. Die ist ja normalerweise durch sowas nicht zu beeindrucken. Liegt vielleicht auch daran, dass sie schon zu viele solcher Geschichten gehört hat.
Es ist ja aber auch was dran; ich möchte wirklich unbedingt zu Weihnachten nach Hause kommen und der Gedanke, am Weihnachtsmorgen aus dem Flieger zu steigen und in Josephs Armen zu landen (hab in letzter Zeit zu viele Romanzen gelesen) versöhnt mich mit der Tatsache, dass ich möglicherweise auf den letzten Drücker komme.
Solange ich da bin, wenn die bunten Teller verteilt werden, wenn der Baum geschmückt wird, wenn die Familie anrückt, um Kartoffelsalat mit Würstchen zu essen und Geschenke auszupacken (was wünscht ihr euch eigentlich? was "typisch" Kanadisches?), dann bin ich glücklich. Schade, dass mein Cousinchen dem Weihnachtsmannalter entwachsen ist. Eigentlich könntest du ja so tun, als glaubtest du noch an den Weihnachtsmann, Twailer, schon um uns alten Leutchen einen Gefallen zu tun. Wir würden doch gern noch an den alten bärtigen Mann glauben, aber wie stünden wir denn dann da, hm?
Gerad vor ein paar Stunden hab ich Joseph vorgeschwärmt, wie sehr ich mich auf das Weihnachtsfest freue, und klar verziert und poliert man Erinnerungen an frühere Feste. Ich sehe uns zum Beispiel um den Weihnachtsbaum sitzen und Lieder singen und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir das noch nie gemacht haben. Sollten wir dieses Jahr aufgreifen. Außerdem sehe ich mich am Fenster stehen, fröhliches Gelächter im Wohnzimmer und ich schaue verträumt und rundum zufrieden nach draußen, und was sehe ich da (außer den schlumpfeisblauen Weihnachtsdekos unserer Nachbarn)? Schnee natürlich, weißen, sanft herniederfallenden Schnee. Auch nicht sehr wahrscheinlich, dass wir den bekommen, eh? Aber ich schätze, Ende dieses Winters werde ich so viel Schnee zu Gesicht bekommen haben, wie ich für mehrere Jahre vertragen kann. Also, ums nochmal zusammenzufassen: Wir essen, singen und tanzen um den Weihnachtsbaum, und halten uns daran, jeden mit nur einem Geschenk zu bedenken. Und dann ist der Abend vorbei, die Nacht bricht an, und der krönende, stille Abschluss der Nacht besteht darin, die Mitternachtsmesse in der Friedrichshagenener Kirche zu besuchen. Um die Zeit kommt meist die jüngere Generation, man trifft Freunde und Bekannte aus Schultagen, an die man das ganze Jahr nicht gedacht hat, aber es ist trozdem nett sie zu sehen, irgendwie beruhigend, à la "life goes on but some things never change". Das Christspiel wird von der jungen Gemeinde organisiert, was bedeutet: jedes Jahr ne neue Idee aber meist genauso lausige Schauspieler wie letztes Jahr (some things never change). Aber letztendlich geht es ja um die Botschaft, nicht den Überbringer....oder so.
Die Kirche ist angenehem warm und nur durch Teelichter erleuchtet und man kann den Tag friedlich ausklingen lassen.
Als ich Joseph diesen letzten Teil ausmalte, wandte er leicht indigniert ein, mein Kirchgang wäre ja doch eher "bedeutungslos"(da er deutsch sprach, übersehe ich diese eher unfreundliche Bemerkung und nehme an, er wusste nicht, dass das Wort in dem Kontext eher verletzend klingt). Sicher, die Prozedur und das Gebet haben für mich nicht die gleiche Bedeutung wie für ihn, ehrlich gesagt schüttle ich manchmal den Kopf über die Ansprache der Pastorin. Ich gehe hin, um mich an den Geist der Weihnacht zu erinnern, ums poetisch auszudrücken. Um zu sehen, dass Weihnachten nicht nur laut und materiell ist und um den Tag Revue passieren zu lassen. Und um eine schöne Geschichte zu hören und um Weihnachtslieder zu singen. Geht ihr zu Weihnachten in die Kirche? Und wenn ja, wieso? Comments erwünscht.

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